Vorher hab ich einen Knopf angenäht und plötzlich musste ich an meine Grossmutter denken, die vor einiger Zeit gestorben ist. Sie arbeitete viele Jahre lang als Schneiderin und ihre Finger waren vom Nähen im Alter ganz krumm. Es ging schon bergab mit ihr, als wir zusammen das Kleid nähten, das ich an meinem Maturaball trug. Das war silbergrau, ganz in zarten feinen Spitzen, im Stil der 5oer gehalten. Wir haben also zusammen Schnittmuster mit Glüfeli am Stoff festgesteckt, die Ränder mit Heftfaden gesäumt und ich sah die ganze Zeit, dass ihr die Arbeit Mühe bereitete. Natürlich wurde kein Wort darüber verloren – ich stamme aus einer Familie, die nicht gern Schwäche zeigt. Aber zu sehen, wie sehr sie sich bemühte, ihre Form zu bewahren – das war unerträglich. Wir arbeiteten schweigend und mit den Stunden wurde sie immer blasser, bis ich es nicht mehr aushielt und ihr in trotzigem Ton mitteilte, ich hätt die Schnauze voll und würd jetzt lieber fernsehen. Wie gesagt, ich stamme aus einer Familie, die nicht gern Schwäche zeigt. Natürlich hat sie kurz und nicht wirklich ernsthaft mit mir geschumpfen und ich war froh drum.
Meine Grossmutter hatte noch ein Talent: Sie konnte fluchen wie ein bärtiger Seemann.. („Jedi govna dok ti ulovim zeca.“) Ich bin noch nie einem Menschen begegnet, der derber flucht als sie und als ich geboren wurde, war sie sehr traurig, dass ich ein Mädchen bin. Später hat sie aber trotzdem immer mit mir angegeben.
Das Kleid, das sie mir damals genäht hat, hängt immer noch in meinem Zimmer. Irgendwann werde ich es wieder anziehen, mir übel die Lampe füllen und den Mond so lang unflätigst beschimpfen, bis er rot wird.